VBS-Kurs japanisches Bogenschießen

 

Am Wochenende von 28.02. und 1.03. veranstaltete die Volksbildungsstätte Schierstein in Zusammenarbeit mit Sensei Gerd Bruchhaus im NIBUKAI einen Intensivkurs "Japanisches Bogenschießen". Hier der Bericht des Teilnehmers Hartmut Fillhardt.

 

Japanisches Bogenschießen für Anfänger

 

Schon lange bin ich neugierig auf Kyudo. Seit 20 Jahre übe ich westliche Formen des Bogenschießens, doch von der strengen japanischen Form mit den langen, asymmetrischen Bögen habe ich bisher nur gelesen. Da war doch dieser Kyudo-Kurs für Einsteiger im Programm der vbs Schierstein?

Ich rufe an. Ja, es sind noch Plätze frei. Kurz entschlossen melde ich mich an.

 

Samstag, 28.2.2009. Es wird natürlich wieder eng, weil ich den Tag viel zu voll gepackt habe. Um 14:00 Uhr soll es losgehen. Fünf Minuten vorher besteige ich in Walluf mein Auto. Mit viel Beherrschung zügle ich meine Eile und fahre gerade noch unterhalb der Radartoleranz von Walluf in Richtung Schierstein zum Nibukai-Kampfkunst-Center.

Auf halbem Weg begegnet mir ein freundlicher Autofahrer der zwei Mal kurz aufblinkt. Radarfalle voraus? Ausgerechnet jetzt. Ich atme tief aus und gehe mit der Geschwindigkeit runter. Entspanne dich! Es geht nicht zur Prüfung.

Zehn Minuten nach Kursbeginn werde ich dann in hellen und luftigen Räumen vom Leiter der Schule begrüßt. Möglichst unauffällig schiebe ich mich in die Vorstellungsrunde. Zu siebt sind wir eine überschaubare Gruppe.

 

Der Kursleiter steht vor uns, in schwarzem Hosenrock und weißer Jacke, der traditionellen Bekleidung des Kyudoka. „Ich bin kein Meister, ich bin ein fortgeschrittener Anfänger“, sagt er und nimmt damit, falls vorhanden, den letzten Druck, hier etwas „leisten“ zu „müssen“, aus der Gruppe.

Sehr schnell geht es zur Sache. Die Bögen sind bereits aufgespannt. Jeder bekommt einen Bogen in die Hand, stellt sich drei Schritt (korrekt: eine Bogenlänge) vor dem Ziel auf, legt einen Pfeil auf die Sehne, zieht und lässt los. Ein kurzer Schlag ist zu hören, als der Pfeil die Zielscheibe durchbohrt.

 

Geduldig und mit viel freundlicher Selbstverständlichkeit für Anfängerfehler zeigt uns Gerd Bruchhaus Schritt für Schritt, worauf es beim Kyudo ankommt. Wie stelle ich mich hin? Wie halte ich Pfeil und Bogen? Wie atme ich beim Ausziehen des Pfeils?

 

 

Für einen in der abendländischen Tradition geübten Bogenschützen wie ich es bin, ist das Wegdrehen des Bogens im Schuss, das dazu nötige Aufbauen der Drehspannung zunächst die größte Umstellung. Durch meine Erfahrung im ZEN weiß ich um Absicht und Sinn der tänzerisch aussehenden Bewegungsformen, die ein Kyudoka beim Abgeben seiner Schüsse durchläuft. Auch wenn ich in diese für mich neue Form unbeholfen und eckig hineinfinde, ist bereits in diesen ersten Stunden die Ruhe zu spüren, die aus der Bewegungsabfolge auf mich wirkt.

Manchem Leistungsbegeisterten mag es komisch erscheinen, einen einzigen Pfeil auf eine Scheibe zu schießen, die gerade mal drei Schritte vom Schützen entfernt steht. Bereits der erste Versuch zeigt, dass es gar nicht so einfach ist, das sauber hinzukriegen.

 

 

Die Wartezeit danach, bis man wieder dran ist, hilft sehr, das eben Erfahrene zu durchdenken und sich auf den nächsten Schuss vorzubereiten.

„Korrekte Technik – unbedingtes Treffen!“

 

Wir erfahren, dass dies das Ideal des Kyudoka ist, durch korrekte Einhaltung der Technik das Ziel zu treffen. Damit steht der exakte, richtige Bewegungsablauf im Fokus der Aufmerksamkeit. Das Treffen stellt sich dann als Ergebnis automatisch ein, wenn alles stimmt.

 

In den Pausen, von der gastgebenden Nibukai-Kampfkunstschule liebevoll mit Kuchen und Tee aus dem Samowar versüßt, erläutert uns Gerd Bruchhaus die Hintergründe und Zusammenhänge der einzelnen Bewegungsabläufe, erklärt uns Feinheiten des Materials und die Philosophie, die dahintersteht.

Zum Beispiel, dass es im japanischen Kyudo für Männer und Frauen zwar unterschiedliche Kleidung gibt, jedoch in Europa keine nach Männern und Frauen getrennten Leistungsklassen. Nur die Leistung entscheidet bei einem Wettkampf, wer ganz oben aufs Treppchen kommt.

Dass beim japanischen Kyudo sich der Schütze dem vorgegebenen Material anpasst, nicht wie in der westlichen Tradition das Gerät auf den Schützen hin optimiert wird. So schießen beispielsweise Rechts- und Linkshänder mit demselben Gerät, was neben den damit verbundenen Herausforderungen (mit welchem Auge ziele ich denn nun) unerwartete Vorteile in der Handhabung hat.

Und viele andere Dinge. Gerd Bruchhaus erzählt spannend und fundiert über historische und technische Zusammenhänge. Manche Pause ufert so durch neugierige Fragen etwas aus, bis die Lust auf das Hantieren mit Bogen und Pfeil uns wieder vor die Scheibe lockt.

 

 

Nach vier Stunden Einführung weiß ich am Samstag abend, dass ich mir den richtigen Kurs ausgewählt habe. Satt, zufrieden und neugierig auf den zweiten Tag fahre ich nach Hause.

 

Sonntag früh. Glücklich bin ich zehn Minuten nach Kursbeginn im Dojo. Wie Gerd Bruchhaus sagen würde: JEDER findet sein Thema im Kyudo, für jeden hält dieser Entwicklungsweg ganz persönliche Herausforderungen bereit und wirft einen auf sie zurück, bis man sie meistert.

 

Heute liegt der Schwerpunkt auf dem Gehen der Form. Es macht mir Spaß, mich Runde für Runde sicherer in die vielen Punkte einzufinden, die es zu beachten gilt.

„Nicht hadern.“ Gerd Bruchhaus sagt es ganz gelassen, ohne Ausrufezeichen dahinter, wenn ein Teilnehmer in komischer Verzweiflung über einen vergessenen Punkt, über einen verpatzten Schuss den Kopf schüttelt. „Hadern ist völlig zwecklos und führt zu nichts“, schmunzelt er und schickt den Teilnehmer in die nächste Runde.

Aus seinen knappen, und sehr zutreffenden Kommentaren wird deutlich, dass die Bescheidenheit, mit der er sich zu Kursbeginn vorstellte, keinesfalls etwas mit mangelnder Erfahrung zu tun haben kann.

 

Dass er gelegentlich mit diebischem Vergnügen von Prüfern erzählt, die einen verkehrt eingelegten Pfeil mit harscher Kritik kommentieren, soll uns wohl sanft darauf hinweisen, dass ab einem bestimmten Prüfungsgrad genauer hingeschaut wird.

Zum Ende des Kurses hin, als klar wird, dass jeder Teilnehmer einigermaßen zuverlässig die Abfolge der Bewegungen einhalten kann, dürfen wir ein paar Schritte weiter von der Scheibe zurücktreten.

 

Und schon gehen die ersten Pfeile neben die Scheibe ins Fangnetz.

 

Wieder beginnen wir mit achtsamen Korrekturen unserer Technik. Jeder Schritt eine neue Herausforderung. „Kyudo ist eine ganze Welt“ sagt Gerd Bruchhaus. Bei jedem Handgriff, bei jedem Atemzug spüre ich, was er meint.

 

 

Mein Fazit zum offiziellen Kursende um 13:00 Uhr: Ein sehr ausgewogener Kurs, der auch einem anderweitig erfahrenen Bogenschützen wie mir noch manch Neues zeigt und viele Herausforderungen bietet. Ich kann jedem nach westlicher Manier schießenden Bogenschützen solch einen Ausflug nur empfehlen. Das Eigene einmal durch die Augen einer fremden Kultur sehen. Mir hat diese Erfahrung spannende Aussen-Sichten auf mein bisheriges Training eröffnet. Mancher Handgriff, den ich bisher eher „aus Tradition“, „nach Rezept“ durchführte, ist mir in einer neuen Tiefe verständlich geworden. Das Erlebte aus diesem Kurs wird nicht ohne Einfluss auf meine weitere Entwicklung als Bogenschütze bleiben.

 

 

Abends gibt es dann für Interessierte noch ein Nachspiel. In der IGS Kastellstraße findet jeden Sonntag das Schießen der geübten Kyudoka auf das Mato statt. Ein kleiner Holzreifen, 36 cm im Durchmesser ist bespannt mit einer Papierzielscheibe aus schwarzweißen Ringen. Die Scheibe steht 28 Meter vom Schützen entfernt und es bedarf einiger Übung, sie zu treffen.

Hier ist es sehr still beim Training. Gelegentlich ein ruhiger Kommentar vom Lehrer. Die erfahrenen Schüler schießen auf das Mato. Technik verfeinert wird jedoch auch hier nur eine Bogenlänge entfernt vor dem Makiwara, der Strohtonne.

Ansonsten höre ich heute Abend nur den trockenen Knall, wenn sich ein Pfeil von der Sehne löst; ein leises „Pock“, wenn, was oft genug geschieht, der Pfeil in die dicht gepressten Kartonagen des Pfeilfangs einschlägt. Oder den eher seltenen Klang des Erfolgs, wenn das helle „Pang“ des Mato wie eine Trommel tönt und verkündet, dass ein Schütze das winzige Ziel getroffen hat.